Raabenwolle

Roman Gujev „Bockrad aus Metall“

Manche Spinnräder atmen Geschichten geradezu aus… so wie dieses kleine, komplett von Hand gemachte Spinnrad, welches ganz aus Metall gefertigt wurde. Normalerweise löchere ich den Besitzer geradezu mit den sich mir aufdrängenden Fragen, um mir ein genaues Bild machen zu können – und um die Geschichte korrekt wiedergeben zu können. Doch dieses Mal entschied ich mich bewusst dagegen und bat stattdessen die Besitzerin, Natalya, zu erzählen – und somit die Fragen zu beantworten.

Danke, liebe Natalya, dass Du Dir diese Mühe gemacht hast!

„Großonkel Romans altes Spinnrad“
Erinnerungen von Natalya Meling, November 2024

„Mein altes selbstgemachtes Eisenspinnrad, für welches sich Britta sehr interessiert, wurde von dem Cousin meiner Mutter, Roman Gujev, hergestellt. Er lebt derzeit in Deutschland und hat mir mehr über dieses Spinnrad erzählt.

Hier ist eine kurze Geschichte über dieses Spinnrad: mein Großonkel Roman wurde 1938 auf der Krim im Dorf Islamterek in eine russlanddeutsche Familie hineingeboren. Nach Kriegsausbruch 1941 wurde er als dreijähriger Junge zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern nach Kasachstan deportiert, wo er seine schwierige Kindheit und Jugendzeit verbrachte. Bald musste sein Vater, wie die meisten anderen deutschen Männer, Zwangsarbeit leisten. Für seine Mutter war es nicht einfach, ihre Kinder alleine großzuziehen. Mein Onkel ging nicht zur Schule, aber er half seiner Mutter z. B. indem er die Schafe hütete. 1958 wurde er in den Militärdienst einberufen. Nach dem Militärdienst heiratete er. Im Jahr 1964 zog er zusammen mit seiner Familie in die Heimat seiner Mutter, in die russische Region Saratow. Sie hatten Schafe auf ihrem Bauernhof und die Familie genoss viele Vorteile dadurch, z. B. dass sie ihre eigene Wolle hatten, Garn herstellen und warme Kleidung stricken konnten.

Die Schwester meines Onkels arbeitete an dem Garn. 1965 entwarf und fertigte mein Onkel eigenhändig ein Spinnrad für sie. Die Konstruktion bestand aus Metall, teilweise mechanisch, teilweise durch Schweißen verbunden. Als Hauptrad wählte mein Onkel das Rad eines Kinderwagens. Die Schwester meines Onkels benutzte dieses Spinnrad viele Jahre und als sie 1996 mit ihm und seiner Familie nach Deutschland zog, brachte sie dieses Spinnrad mit.

Früher war auch einer der Cousins meines Onkels damit beschäftigt, hölzerne Spinnräder herzustellen und diese zu verkaufen. Von ihm lernte mein Onkel dieses Holzhandwerk und interessierte sich für eine besondere Sparte dieses Geschäfts, nämlich die Herstellung kleiner dekorativer Spinnräder aus Holz. Als Rentner -nun schon in Deutschland- beschäftigte er sich lange Zeit hobbymäßig mit der Herstellung dieser und anderer Holzsouvenirs. Als seine Schwester vor ein paar Jahren starb, kam das alte Spinnrad zu ihm zurück und er schenkte es meiner Mutter.

Seit meiner Kindheit bin ich mit allem verbunden und vertraut, was mit Spinnen und Stricken zu tun hat, da meine Familie sich im Alltag viel damit beschäftigt hat. Ich habe meiner Großmutter beim Spinnen zugesehen. Meine Mutter konnte auch spinnen. Ich selbst habe von klein auf das Stricken gelernt, konnte aber nicht wirklich spinnen. Deshalb interessierte ich mich sehr für dieses Spinnrad und bekam es von meiner Mutter geschenkt. Ich versuchte mir das Spinnen selbst beizubringen.

Aber nachdem ich von Britta und ihren Spinnkursen erfahren hatte, wollte ich es professionell erlernen und nahm an diesem Kurs teil. So habe ich Britta kennengelernt. Als ich ihr das alte Spinnrad vorführte, zeigte sie großes Interesse daran. Ich persönlich hatte unser Spinnrad zwar immer als etwas Besonderes, jedoch nie als äußerlich ansprechend angesehen. Britta gefiel es aber so gut und sie bat mich, ihr mehr über dieses Familienerbstück zu erzählen. So kam die kleine Geschichte unseres selbstgebauten alten Spinnrads zu Papier.“

INFOBOX:

Technische Daten „kleines Bockrad aus Metall“
Hersteller: Roman Gujev