Rayher Hobby GmbH „Klassik“
Manchmal bringen Bekannte ältere Räder zu mir, die schauderhaft klappern, teilweise arg defekt sind oder so-gut-es-ging-teilrepariert, die ungeliebt seit Jahren in der dunklen Zimmerecke zu stauben und die einfach „über“ sind. So auch dieses stattliche Bockrad, das offenbar schon einiges hinter sich hat: die liebe Jutta hat es mir im Januar 2023 anvertraut, da sie wahrscheinlich in den nächsten Jahren nicht mehr zum Spinnen kommen wird. Ich sei frei, damit zu tun, was immer ich für sinnvoll halten würde.
Tja, da steht man dann mit dieser gefühlten Verantwortung gegenüber einem Gegenstand, der viel zu berichten hat, wenn man ihn sich bei Tageslicht genauer anschaut. Meine erste Überlegung, nur den Spinnkopf als Ersatzteil(e) zu nutzen und das Gestell dem Ofen anheim fallen zu lassen, war dann doch schnell passé. Obwohl eine genaue Begutachtung zeigte, dass die Standhölzer instabil waren, das Querholz des Trittes mehr recht als schlecht instand gesetzt wurde und der Knecht am Rahmen schliff weil das Trittbrett zu weit nach hinten angeschraubt worden war. Der Spinnkopf war definitiv nicht mehr Original, sondern stammt vom Louët „S10“ – man sieht es auch an der Aufnahme des hinteren Standholzes, wo ein heller Holzdübel eingesetzt wurde, der eine Kunststoffhülse (welche man aus einer der Spulen genommen hatte) als Buchse sitzt. Die Spuleneinsätze aus Kunststoff fehlen teilweise in der Spulen, welche definitiv auch von Louët sind. Der Spinnflügel ist ebenfalls von Louët, teilweise gesplittert, die Einzugshaken rau, die Spulenbremse unvollständig.
Das Rad kam mir vage bekannt vor und schließlich wurde ich bei meiner Suche im Internet fündig: das Rad ist ein „Klassik“ von der Firma Wolfgang Rayher Hobby. (*)
Im Original besitzt es eine runde Trittbrettstange, die links und rechts je zwei Drechselkerben aufweist und unter dem Trittbrett dicker und viereckig ausgeführt ist. Der Spinnflügel selbst war u-förmig gerundet und aus Multiplex gearbeitet. De Einzugsöffnung war aus Holz gearbeitet. Die Spulenwirtel waren flache Wirtelscheiben: auf der einen Seite mit einer Rille für den Polycord / Antriebsriemen und -auf der anderen Seite- innenseitig flach und (zur Einzugsöffnung hin) Pilzkappenartig gerundet. Die mit sechs Dreiecken ausgesparten Schwungräder wiesen entweder a) zwei Rillen beidseitig oder b) vorn drei Rillen und dafür rückseitig keine auf. Die Flügelbremse war ein Faden, welcher mit einer hölzernen Klemmscheibe und einer kleinen Flügelmutter (die rechtsseitig unterhalb der Einzugsöse an dessen Halterung sitzt) festgeklemmt wurde. Im hinteren Standholz konnte eine Kreuzhaspel mit vier Armen aufgesteckt werden – wenn man sie abnahm, konnte stattdessen ein kleiner, konisch zulaufender Holzkegel eingesteckt werden. Diese Räder wurden in schwerer Ausführung gebaut und ich kenne sie nur dunkel / walnussfarbig gebeizt.
Die Firma „Rayher Hobby GmbH“ mit Sitz in der Fockestrasse 15 in 88471 Laupheim findet man heute noch im Netz: und noch immer vertreiben sie Bastelbedarf. Meine telefonische Nachfrage, wann die Räder wohl hergestellt worden sind, konnte von der netten Mitarbeiterin nicht geklärt werden – obwohl sie ihrerseits bei einer Kollegin nachfragte, die schon seit 35 Jahren im Betrieb arbeitet. Diese Kollegin wiederum gab die Auskunft, sie könne sich nicht an die Räder erinnern und alte Kataloge aus dieser Zeit wären nicht mehr existent – und seien auch nie digitalisiert worden. Die Räder seien wahrscheinlich aber nicht direkt in der Firma gefertigt worden, sondern seien sicherlich zugekauft gewesen, denn die Firma habe (zu dieser Zeit?) keine eigene Produktion gehabt.
Tja, diese Auskunft und die Tatsache, dass die meisten Hersteller von Spinnrädern erst in den 1990ern angefangen haben, die Antriebswelle in Kugellager zu setzen (z.B. Fa. Ashford beim „Traditional“) bringen mich zu der Annahme, dass dieses Rad um 1980 hergestellt wurde. Auch die zeitgemäß dunkle Beizung spricht dafür…
Wer mehr weiß oder so eine alte Aufbau-Anleitung sein Eigen nennt, mag sich gern bei mir melden: ich bin bekanntermaßen (und bekennend :-)) neugierig!
Was jetzt die Frage angeht, „was mit dem Rad passieren wird?“
Da braucht ihr keine Bedenken zu haben. Denn ich plane, es wie folgt aufzuarbeiten bzw. zu reparieren:
– das Holz des Spulenhalters wird zum neuen Querholz des Trittbrettes
– die Spulen werden Spulenhalter / Metallstangen auf dem Querbrett unterhalb des Schwungrades bekommen
– das schmale Trittbrett wird durch ein Neues ersetzt
dieses wird doppelt so breit werden, damit man bequemer seine Füße / den Fuß aufsetzen und entspannter spinnen kann
– die Knechtstange wird an der unteren Länge um 3-5cm gekürzt, damit der Fuß in Ruheposition waagerecht stehen kann
das ermöglicht außerdem ein ermüdungsfreieres Spinnen, weil die Fußspitze nicht so weit nach unten durchtippen muss
– der Spinnflügel wird geleimt und bekommt glattere und größere Spinnösen
– der Rest des Spulenhalterholzes bekommt einen schicken Knopf
damit wird das obere Loch am hinteren Standholz verdeckt
– das ganze Rad wird angeschliffen und bekommt einen hellen Shabby-Chic-Look
da es ohnehin nicht mehr im Originalzustand ist, kann ich es getrost optisch und technisch verändern
Auf jeden Fall werde ich berichten – ihr lest hier später mehr zum dem alten Rädchen.
Dir, liebe Jutta, danke für das Rad – ich werde versuchen, es wieder gut herzurichten und spinnbar zu machen.
Vielleicht macht es dann noch jemandem wieder Freude…
(*)
Zunächst hatte mich das markant gearbeitete Schwungrad bei meiner Suche im Netz in die Irre geführt: die sechs Ausschnitte im Holz (welche mich an die Kochkäseecken in den kleinen runden Holzschächtelchen erinnern, die meine Oma immer kaufte – und die ich nie so recht mochte) finden sich sehr ähnlich bei dem Spinnrad „Bea“ wieder, welches von „Werk Willy“ hergestellt wurde. Doch dieses Rad besitzt keine zwei bzw. drei Deko-Rillen im Schwungrad, welche (konzentrisch zur Achse) auf der Seite des äußeren Radrandes eingefräst sind. (Ich habe im Netz beide Varianten des Rayher „Klassik“ gesehen…) Und das naturfarbige, helle „Bea“ besitzt zudem keine Standplatte, sondern einen viereckigen Standrahmen.
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Nachtrag: 6. Oktober 2024
Dieses Wochenende habe ich mich nun endlich wieder mit meinen Rayher-Spinnrädern befasst. Jawohl: inzwischen Mehrzahl. Durch die liebe Dagmar ist ein weiteres Rad zu mir gekommen 🙂 Also habe ich mir alle Teile nun noch einmal genau vorgenommen… und bin in mich gegangen, nachdem ich festgestellt habe, das -beim Rad von Jutta- der Lauf des Antriebsriemens auf die Rillen der Louët-Spulen nicht geradlinig verläuft. Dadurch lässt das Rad sich schwerer antreten bzw. bei Nutzung der kleineren Wirtelscheibe springt der Antriebsriemen ab. Das ist ja nicht Sinn der Sache…
Nach einigem hin- und her-überlegen habe ich mich dann entschlossen, nur das Rad von Dagmar wieder aufzuarbeiten: es ist am vollständigsten erhalten und verfügt außerdem über den original Spinnkopf. Einige der kleineren original Rayher-Teile behalte ich daher „nur“ als Ersatzteile. Auch der Louët-Spinnkopf mit den passenden Spulen wird für spätere S10-Reparaturen beiseite gelegt.
Das Rad habe ich zunächst komplett geschliffen, um optisch möglichst viel von der dunklen Beize zu entfernen und einen Shabby-Chic-Look zu simulieren. Das ganze Erscheinungsbild schien mir viel zu dunkel – aber ganz überstreichen wollte ich es wiederum auch nicht. Es sollte vielmehr so aussehen, als hätten es viele Hände bei der Benutzung blank gegriffen und somit hellere Stellen des Holzes frei gerieben. Und ich wollte zusätzlich ein paar Hingucker schaffen, die erst beim zweiten Ansehen auffallen: unscheinbar, aber doch für eine besondere Optik sorgend. Daher entschied ich mich für ein schönes, sattes Rot, welches gut zum warmen Grundton des – jetzt neu lasierten- Holzes passt und legte damit die gedrechselten Rillen aus. Dieser kleine Effekt gefällt mir sehr: er wertet das alte Schätzchen sehr schön auf.
Dann entschied ich mich für einen nur 3,5mm starken Antriebsriemen aus sehr nachgiebigem PU (Polyurethan), den ich mit nur wenig Zugspannung aufzog. Das einsetzende Längen beim Antritt sorgt für möglichst wenig „Rupfen“ an den Spinnfasern – und der minimale Durchmesser für möglichst wenig Reibungswiderstand beim Spinnen… und somit ermüdungsfreiem Treten. Den Lederriemen der Spulenbremse habe ich durch einen Nylonfaden ersetzt, damit auch hier möglichst wenig Widerstände auftreten. Auch einen neuen Einzugshaken mit handgefilztem Schäfchen hat das Rad bekommen 🙂 Zu guter Letzt habe ich noch alle beweglichen Teile mit Wälzlagerfett verwöhnt – und schließlich kam der spannende Moment: wie gut lässt sich mit dem Rayher „Klassik“ spinnen? Macht mir das alte, schwere Spinnrad wirklich Spaß?
Ja, zu meiner eigenen Überraschung macht es das! Sehr sogar! Es steht bombenfest und rutscht auch auf Holzboden nicht weg. Das Trittbrett hat einen guten Anstellwinkel, tritt sich leicht und treibt das Schwungrad flüssig an. Der Spinnkopf rappelt zwar hörbar, aber nicht ohrenbetäubend, sondern eher angenehm. Man kann auf dem alten Schätzchen sehr dünne Fäden spinnen – aber auch dickere Garne gelingen wunderbar. (Ich finde es sogar angenehmer als die alten Louët S10, da die Spulenlager offener gestaltet sind und die Spinnfaser somit nicht so viel strammen Einzug hat: man kann die Finger entspannen und muss nicht so stark festhalten.) Das Rad hat mich wirklich positiv überrascht!
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Modell „KlassiK“
Hersteller: „Rayher Hobby GmbH“, Inh. Wolfgang Rayher, Fockestrasse 15, 88471 Laupheim
Antrieb: einfädig mit Spulenbremse
Übersetzungsverhältnisse: 1: ??
Schwungraddurchmesser: 43,5 cm ( kugelgelagert )
Lager: alle beweglichen Teile sind kunststoffgelagert
Abmessungen: 96H x 44 B x 40 T cm (Höhe incl. Zierknopf)
Gewicht: 5,7 kg (mit Spulenhalterung)
Holz: ?
Farben: Walnuss gebeizt
Spulenlager: Holzlagerschale / Kunststoffbuchse
Spulenkapazität: ca. 250 Gramm/ eine Wirtelgröße
Spulenhalter: abnehmbar, für 2 Spulen
Einzugsloch: 1,5 cm Durchmesser
Modell wurde hergestellt von: geschätzt (!) von ca. 1970 bis ca. 1980
Verkaufspreis: ?
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