Raabenwolle

antikes „Hochzeitsrad“

Dieses „Hochzeitsrad“ stammt aus Schaumburg und ist meinen Recherchen zufolge zeitlich um 1920 hergestellt worden. Es war in sehr gutem Zustand und muss aus einer wohlhabenden Bauernfamilie stammen, die sich ein solches Stück Drechsler- und Handwerkskunst leisten konnten. Es ist hervorragend gearbeitet, liebevoll verziert und weist beinerne Schmuckelemente auf. (Ob sie aus Bein, also Knochen, oder sogar aus Elfenbein hergestellt worden sind, vermag ich nicht zu sagen.)  Vermutlich ist es im Raum Bremen hergestellt worden – so wie auch das Hochzeitsrad von 1924, welches ich mir später noch gekauft habe.

Nachdem ich es entstaubt hatte, entfernte ich den Rost von den Achsen und Spinnflügeln und fettete sie, ersetzte die beiden Antriebsriemen und tauschte ein paar verrostete Nägel in den Trittbrettern aus. Ein paar kleine Leimarbeiten, etwas Justierarbeit und den Knecht festgesetzt, und schon konnte ich damit spinnen. Unglaublich: das fast 100 Jahre alte Rad benötigte „nur“ 6 Stunden liebevoller Kleinarbeiten, um es wieder voll spinnfähig zu machen!

Wer es jetzt in Aktion sehen will, kann es im Extertal im „Bösingfelder Wollladen“ besuchen – und die tolle Kreuzhaspel bewundern, die ihm dort zur Seite gestellt worden ist.

„Hochzeitsräder“ wurden so genannt, weil sie auf Hochzeitsfeiern dem Brautpaar zum gemeinsamen und gleichzeitigen Spinnen hingestellt wurden. Ein Brauch, der an das heutige Baumstammsägen erinnert, bei dem man zur Belustigung der Gäste austestet, ob das Paar gut zusammen arbeiten kann. Das muss vermutlich nach dem zweiten Weltkrieg, in den 1950-1960ern üblich gewesen sein. In den ländlichen Gebieten dürften einige dieser schmucken Räder die Zerstörungen des Krieges überdauert haben.

Ursprünglich wurden sie jedoch zu einem völlig anderen Zweck gebaut: die beiden Spinnköpfe sollten ein effektiveres Spinnen ermöglichen. Zwei Personen konnten gleichzeitig an einem Rad arbeiten, was wohl hauptsächlich in den aufstrebenden Fabriken von Belang gewesen sein durfte. Ein Rad zu bauen, war sicher günstiger, als zwei finanzieren zu müssen. Und es konnten zwei Arbeiter/innen zugleich an den Rädern sitzen und den „Hunger“ der inzwischen mechanisierten Webstühle nach Garn schneller stillen. Mit diesen Spinnrädern verdoppelte sich leider nicht die Produktion, aber ungefähr 160% gegenüber den normalen Spinnrädern sollen Spinnerinnen darauf geschafft haben, wenn auch die Garnqualität nachließ. So hießen diese Räder in der Zeit der industriellen Revolution „Hungerräder“.