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2000 bis 1500 Jahre alte Spinnwirteln

Wir alle telefonieren täglich viele Male – doch davon haben die wenigsten Gespräche so einen immensen Nachklang wie jenes, welches mich am Jahresende 2022 erreichte. Ein junger Mann hatte meine Homepage gefunden, weil er im Netz sowohl nach  dem Begriff „Handspindeln“ als auch nach „Skudden“ gesucht hatte. Und fragte nun mich, ob ich für seine Freundin einen Kurs an der Handspindel mit Skuddenwolle geben könnte?! Na klar, das wäre mir ein Vergnügen – doch warum in dieser Kombination? Die Antwort ließ mich schlagartig neugierig werden, denn Martha studiere Archäologie und schriebe aktuell an ihrer Masterarbeit über historische Spinnwirtel (*). Wow! Natürlich hatte ich da noch einige Fragen -nicht zuletzt zu den Inhalten dieses besonderen Kurstages- die wir besprachen… Auf jeden Fall machten Niklas und ich schließlich einen Termin aus und verabschiedeten uns sehr nett. Selten war ich auf einen Kurstag so gespannt!

(*) Genauer gesagt: Martha hatte Ihre Bachelorarbeit über ein historisches Textil / Kleidungsstück, welches aus gesponnenen Wollfasern gewebt worden war, geschrieben. Ihre Masterarbeit sattelt sozusagen auf dieses Thema auf: sie schreibt sie über die historischen Spinnwirtel, welchen auf dem Wurtendorf „Feddersen Wierde“ gefunden wurden.
-> siehe Infobox / lest die unter diesem Bericht angefügten Downloadartikel

Im Februar 2023 war es dann endlich soweit: die Beiden saßen in meinem Spinnzimmer und wir unterhielten uns. So erfuhr ich, dass der Fund von gut erhaltenen, gewebten Bekleidungsstücken aus Wolle extrem selten ist, denn üblicherweise vergehen diese im Boden. Doch am Fundort des Kleidungsstückes, über das Martha ihre Bachelorarbeit schrieb, herrschen spezielle Bedingungen: in sauren Hochmooren oder auch zwischen den Mist- und Kleischichten der Wurten können sich solche textilen Schätze erhalten. So wurde in den 1950er Jahren im Lengerner Moor (bei Hollriede) ein Gewebe entdeckt. Dieses historische Stück weist gleich mehrere Besonderheiten auf: es wurde aus sehr feinen Schafwollfäden gewebt, mehrfach mit anderen Fasern -zum Teil mit Färberwaid gefärbten Fremdfasern- geflickt und ist insgesamt recht groß in seinen Abmaßen.

Die gewebten Wollfasern wurden analysiert und die Faserstruktur ist sehr ähnlich zu denen der heutigen Skudden: eine alte Landschafrasse, welche bis heute ihre Ursprünglichkeit weitestgehend erhalten hat. Man bezeichnet sie umgangssprachlich gern als „Wikingerschafe“, da man vermutet, dass diese von den Wikingern sogar deren Booten auf Reisen mitgenommen wurden. Denn Skudden sind klein, genügsam und anpassungsfähig. Insbesondere, was karge Lebensräume angeht.

Auch die Wolle von Soayschafen wäre eine Option für die Versuche, diese Fäden zu reproduzieren, gewesen. Doch Soay verlieren ihre Wolle noch immer selbst und müssen daher nicht geschoren werden. Entsprechend selten kommt man an diese Wollqualität: die Fasern werden gesammelt oder direkt von den Tieren gezupft, wenn sie im Fellwechsel sind.

Spinnen lernen, um archäologische Funde korrekt einordnen zu können  

Martha wollte also spinnen lernen, um herauszufinden, ob und wie es den Menschen möglich gewesen ist, solch dünne Fäden herzustellen: im gefundenen Gewebe messen die einzelnen Fäden nur ca. einen viertel Millimeter im Durchmesser… meist sind sie sogar noch dünner. Das Gewebe aus Lengende wurde der römischen Kaiserzeit Norddeutschlands zugeordnet. In dieser Zeit messen die Fäden oft unter einem Millimeter Durchmesser und Zwirne sind eher die Ausnahme als die Regel! Die meisten Singles wurden darüber hinaus in z-Richtung hergestellt, während wir Hanspinner*innen heutzutage üblicherweise s-Singles herstellen und in z-Richtung verzwirnen…

In der Siedlung wurden seinerzeit verschiedene Tonkegel und Keramikscheiben gefunden, welche mit runden Löchern versehen waren und von denen angenommen wird, es könnten Spinnwirtel gewesen sein. Da sich Spindelstäbe nur sehr selten erhalten (und dann zumeist nicht mit aufsitzendem Wirtel), ist oft nicht klar, ob es sich bei Objekten wie den Scherben wirklich um Schwunggewichte handelt. Martha wollte herausfinden, ob mit diesen Stücken tatsächlich Schafwolle versponnenen wurde… am liebsten natürlich mit der entsprechenden Wolle.

Zu diesem Zweck hatten wir vorab die Idee gehabt, die dort gefundenen Stücke in Größe und Gewicht nach zu töpfern. Doch Martha hatte zu unserem Treffen mehrere, 2000 bis 1500 (!) Jahre alte Überraschungen mitgebracht! Das „Niedersächsische Institut für historische Küstenforschung“ in Wilhelmshaven hatte ihr eine Sondergenehmigung erteilt – und ihr die historischen Funde für Ihre Masterarbeit zur Verfügung gestellt.

So ein Gefühl von Aufregung, gepaart mit Gänsehaut und Ehrfurcht hatte ich noch nie – denn ich durfte die kostbaren Stücke tatsächlich Probe spinnen! Natürlich nur mit der entsprechenden Vorsicht und Präparation – ersteres letztlich auch, weil mir die Hände so zitterten. Mit diesen Wirteln hatten zuletzt vor zweitausend Jahren Menschen gearbeitet! Seitdem lagen sie Jahrhunderte in der Erde verborgen, bis sie vor gut 70 Jahren ausgegraben, begutachtet und letztlich in einer Schublade verwahrt worden sind. Zuletzt von Händen gesponnen, die schon lange vergangen sind … und jetzt sollten sie sich endlich wieder drehen und ihren Zweck erfüllen!

Vorbereitungen

Doch bevor es soweit sein würde, mussten wir erst zu meinen Skudden fahren, um etwas Wolle von den Schafen zu schneiden, denn ich sollte praktisch zeigen, welche Schritte notwendig sind, bevor Fasern versponnen werden können. Die Wolle meiner Skudden ist mischwollig, was bedeutet, einige Haarfolikel am Körper des Schafes produzieren feine, wärmende Unterwolle. Andere lassen langes Grannenhaar wachsen, an dem die Regentropfen sich sammeln und ablaufen. Wenn das Schaf sich schüttelt, fliegt das restliche Wasser davon: man kennt das Schüttel-Verhalten von Hunden.

Nach dem Waschen der Fasern -in lauwarmen Wasser und mit etwas Haarshampoo- trennten wir durch Herauszupfen der langen Haare die beiden Fasersorten voneinander. Die übriggebliebene Unterwolle trocknet auch bei Zimmertemperatur sehr schnell, so dass wir sie gleich verarbeiten konnten. Die Stapellänge betrug hier schon gute 10-12 cm: zur regulären Schurzeit wäre sie natürlich viel länger gewesen. Wir kardierten mit Handkarden (72ppi Benadelung) und bekamen schnell sehr gutes Testmaterial. 

mein Spinntests – mit 2000 bis 1500 Jahre alten Spinnwirteln

Zunächst fingen wir mit den zeitlich frühesten Funden an, die in der untersten Ausgrabungsschicht gefunden worden waren. Auf der Wurtensiedlung „Feddersen Wierde“ sind acht Siedlungsphasen sowie eine spätere Nachbesiedlung  festgestellt worden, und aus einigen hatten wir Funde, die als potenzielle Spinnwirtel gelten.

Unter die potentiellen Wirtel fallen u.a. Wandungsscherben, die aus dunkler Alltagskeramik hergestellt wurden: gebrochen, rund bearbeitet, in sich leicht gewölbt, mit einer Größe von ca 6cm Durchmesser und mit einem 5-6 mm Loch, welches in der Mitte sitzt. Ein paar Orchideenstäbe mit den entsprechenden Kunststoff-Klemm-Blütenhaltern taten uns gute Dienste und taugten als Spinnstab und als Sicherung gegen das Ausrauschen der Wirtel. Beim ersten Versuch bekam ich einen sehr gleichmäßigen, gut 1mm starken Faden gesponnen! Doch die gefunden Singles in dem Gewebe waren ja viel, viel dünner…

Also probierten wir, unterstützt („supported“) zu spinnen: und das brachte sofort ein wesentlich dünneres Ergebnis. Fast zwei Drittel der Garnstärke konnte ich so einsparen – eine tolle Erkenntnis! Auch eine andere, fast eckige und nicht so große und recht schwere Scheibe lief hervorragend. Womit wir nachweisen konnten, dass die exakt runde Form nicht zwingend notwendig für ein gutes Ergebnis ist. Als Handspinnerin war mir das klar, Martha erstaunte dies jedoch.

Als nächstes durfte ich verschiedene, konisch zulaufen Kegelwirtel ausprobieren: auch eine doppelkonische und ungleich doppelkonische Wirtel waren dabei. Diese mitgebrachten Wirtel waren kleiner und leichter: etwa 2,5-bis 4 hoch, mit einem Durchmesser von  2,4 bis 4 cm bei einem Gewicht von ca. 100 bis 150  Gramm. Auch sie laufen hervorragend, wenn sie unterstützt gesponnen werden!

Einen letzten Versuch machten wir dann noch mit einer ganz speziellen Wirtel: gefertigt aus der Hüftgelenkkugel eines Rindes, einseitig zu einem Drittel des Durchmessers abgeflacht, auf 7-8 mm aufgebohrt. Vorab hatten wir schon hin- und her-überlegt, aus welchem Holz die damaligen Spindelstäbe der Wurtensiedlung wohl gefertigt worden waren –in der Marsch dürfte Holz ein ganz knapper Rohstoff gewesen sein. Also hatte ich Weidenruten und Haselnussstäbe geschnitten, um es selbst ausprobieren zu können. Da Martha mir erzählt hatte, es  es werde in der Forschung oft die These Wirtelstäbe müssten möglichst gerade sein, um gut spinnbar zu sein, vertreten, wählte ich für dessen Versuch einen ganz krummen Ast, dessen untere Gabelung uns dazu diente, die Wirtel zu halten. Selbst mit diesem extrem schiefen Handspindelstab bekam ich einen sehr dünnen Faden gesponnen… und Martha freute sich, die „gerade-Spindelstäbe-These“ ganz praktisch widerlegt zu sehen.

Zum Schluss durfte ich einen Blick auf die Fotos werden, die im Text Ihrer Masterarbeit eingebunden waren – die Detailfotos der einzelnen Fäden bestärken mich in der Annahme, dass damals mit dem langen Auszug unterstützt gesponnen wurde. Die kleinen Tests, die ich machen durfte, haben gezeigt, dass Skuddengarn auf diese Weise viel ebenmäßiger wird, als wäre es mit kurzem Auszug an einer Fallspindel gesponnen.

mein herzlichstes Dankeschön

Nach gut 6 Stunden des Austausches war ich völlig fertig… so viel wissenschaftlicher Input, so viele interessante und erkenntnisreiche Tests mit diesen uralten Schätzen, so viel Neues, Wissenswertes, Aufregendes! Ich war und bin noch sehr berührt von der Erfahrung, Teil gehabt haben zu dürfen an etwas, das man „angewandte Archäologie“ nennen könnte.

Mein erstes Dankeschön geht an Niklas für die Idee, einen solchen Kurstag zu verschenken und gleich das zweite Dankeschön gilt Martha: Danke für die unglaublichen Informationen und Dein Hintergrundwissen. Ich freue mich schon auf weiteren Austausch und darauf, mehr über dieses spannende Thema lernen zu dürfen! Wer möchte, kann voraussichtlich zu Ende des Jahres 2024 Ihre Masterarbeit lesen, die ich dann hier verlinken bzw. zum download-Bereich zur Verfügung stellten darf.

Zu guter Letzt bedanke mich sehr bei den Verantwortlichen des „Niedersächsischen Institutes für Küstenforschung“ für das Ausleihen der historischen Spinnwirtel – es war mir ein unvergessliches Erlebnis und eine große Ehre. Sicherlich werde ich eines Tages in die Museen besuchen fahren, um meh099r über das Leben auf der „Feddersen Wierde“ zu erfahren!

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INFOBOX – Das Wurtendorf „Feddersen Wierde“…
…war eine frühgeschichtliche Siedlung und lag im Landkreis Cuxhaven an der Wesermündung zum Meer und zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. bis ins 5. Jahrhundertbesiedelt. Auf einer solchen Warftsiedlung warf man immer wieder geeignetes Material auf den bestehenden Siedlungshügel auf, um die darauf gebaute Siedung vor dem ansteigenden Küstenwasser zu schützen.
So entstanden Schichten, die entsprechenden Zeiten zugeordnet werden können und die -jede für sich- eigene Rückschlüsse auf die Lebensweise der Menschen zulassen.
Die „Feddersen Wierde“ wurde zwischen 1954 und 1963 umfassend archäologisch ausgegraben und ist heute leider nicht mehr zu besichtigen, denn das Gelände wird wieder landwirtschaftlich genutzt. Doch einige Funde sind  u.a. im Museum Burg Bedakesa und im Küstenmuseum in Wilhelmshaven  zu besichtigen.

-> Für mehr Infos fragt nach beim großen Google-Gott 🙂
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DOWNLOADS – Fachbeträge zum weiter- und nachlesen:

Freundeskreis Archäologie FAN 2023 Görlitz

Archäologie in Niedersachsen AiN2024 Goerlitz_Peek

Die Masterarbeit von Martha Görlitz darf ich (wahrscheinlich zum Ende des Jahres 2024) an dieser Stelle online stellen 🙂
Klickt Euch gern später noch einmal her rein: ich freu mich jetzt schon unglaublich drauf!