Gemeinde Kiikka „Kiikkalainen“
Dieses Spinnrad gehört der lieben Nadja, welche ich auf dem Spinner*innen-Treffen 2024 im LWL-Ziegeleimuseum, Lage, kennenlernen durfte (*). Nadja ist Spinnanfängerin und hatte dort dieses schöne alte Flachsrad geschenkt bekommen… und zufällig setzte sie sich neben mich. Tja, Zufälle gibt es wohl doch nicht, denn wir kamen u.a. ins Gespräch, weil ich völlig auf diese alten Räder stehe – und sie beim Spinnen mit dem alten Schätzchen natürlich noch etwas Probleme hatte. Auf jeden Fall bot ich mich an, das Rädchen zu Hause genauer unter die Lupe zu nehmen, um zu sehen, ob ich noch etwas tun könnte…
* Das Treffen findet immer „Zwischen den Jahren“ (also zwischen Weihnachten und Neujahr) statt und steht allen offen, die Wolle spinnen und Wollverrückt sind. Mehr Infos findet Ihr auf der Homepage des Museums.
Da ich schon einige dieser schönen und (wegen ihres Dekores) unverwechselbaren Räder im Netz gesehen hatte, wollte ich zunächst unbedingt herausfinden, wer der Hersteller war… Durch Zufall fand ich die Blog-Seite wieder, auf der ein solches Rad zu sehen ist: das dort eingestellte Foto zeigt definitiv ein baugleiches Spinnrad. Alle Teile, die bei Nadjas Rad jetzt grün lackiert sind, waren im Originalzustand vermutlich einmal schwarz glänzend lackiert. Das unlackierte Holz war ursprünglich heller, fast honigfarben und die Hintergründe der wellenförmigen Verzierungen sind bei diesem Rad in einem Hellbraun gehalten.
Und wie immer, wenn man erst mal weiß, was man exakt sucht, finden sich anschließend noch viele weitere Infos im weltweiten Netz – eine Sache, die ich (in Fällen wie diesem) sehr liebe und schätze. Ich kann also sagen, dass es sich hier definitiv um ein „Kiikkalainen“-Spinnrad handelt, welches in Finnland hergestellt wurde!
Kiikka ist eine Ortschaft in der finnischen Region Pirkanmaa. Sie liegt im Südwesten Finnlands, zwischen Tampere und Pori; was wiederum ungefähr zweieinhalb Autostunden nordwestlich von Helsinki entfernt zu finden ist. Würde ich über Polen, Litauen, Lettland und Estland fahren, dann mit der Fähre nach Helsinki übersetzen und bis Kiikka fahren, wäre ich gute 26 Stunden unterwegs und hätte ungefähr 2135 Kilometer zurückgelegt…
Am Ortseingang würde mich vielleicht sogar das Wappen der kleinen Ortschaft empfangen: das unten gerundete Wappenschild zeigt ein kleines, gänzlich goldenes Spinnrad (sächsischer Bauweise, in Seitenansicht) auf leuchtend blauem Grund. Das zeigt doch, wie bedeutend die Produktion dieser Räder auch heute noch sein muss, oder? Zumal Kiikka wohl für sein reiches kulturelles Erbe bekannt ist: man veranstaltet dort u.a. auch immer noch „die Spinnrad-Woche“ mit Spinnradvorführungen, Workshops und Ausstellungen.
Die „Kiikkalainen“-Spinnräder wurden hauptsächlich im 19. und frühen 20. Jahrhundert hergestellt. Diese Zeit war geprägt von handwerklicher Tradition und lokalen Handwerksbetrieben, die sich auf die Herstellung von Spinnrädern spezialisierten, verrät mir der große Google-Gott.
Also ist dieses Rad ein echter Klassiker!
Auch wenn der Wocken sowie die originalen Spulen fehlen; es übergestrichen wurde; die schwarze Lackierung nicht mehr sichtbar ist bzw. hier irgendwann einmal ein dunkles Grün eingesetzt wurde; der Holzwurm an manchen Teilen fleißig war; Bohrlöcher im Schwungrad zu finden sind; es beim Spinnen klappert, da an einigen Verbindungen der Leim fehlt; das Schwungrad selbst am Standholz schleift, weil es verzogen ist… dieses Spinnrad ist dennoch ein echtes Schätzchen. Und wahrscheinlich ist es das genau wegen dieser Besonderheiten, wegen der Spuren, die es trägt: all das zusammen macht den umwerfenden Charme dieses Rades aus!
Liebe Nadja, halte es in Ehren: es spinnt ganz wunderbar feine Fäden. Und vielleicht leimst Du es hier und da doch noch ein wenig: Du bist doch Möbel-Restauratorin und kannst das bestimmt! Es wäre super, wenn Du mir noch schreiben könntest, was Du über die Verzierungen weißt: ich würde Dein Fachwissen sehr gern hier m Blog ergänzend veröffentlichen! Ja?
INFOBOX:
Technische Daten „Kiikkalainen“-Spinnrad
Herstellungsort: Kiikka, Region Pirkanmaa, Finnland
- helles Holz (unbekannte Holzart)
- wellenförmige Verzierungen
-> auf beiden Seiten des Schwungrades, umlaufend am Hauptbrett, oben auf dem Hauptbrett, an den halbkreisförmigen Halterungen der Achse - teilweise mit schwarz-glänzender Lackierung
-> Wocken, Griff zur Änderung der Fadenspannung, Maidens & Querholz, Radspeichen, gesamter Unterbau, Standhölzer sowie Achsfixierhalterungen
- Gewicht: 5,5 kg (ohne Wocken)
- Höhe der Spinnöffnung: 67,5 cm
- Durchmesser Einzugsöse, Innenmaß: 7 mm
- Übersetzungsverhältnis 1: ??
- Abmessungen Spinnrad (HxBxT): 100 x 104 x 57 cm
- Raddurchmesser 62 cm
- Einzeltritt mit ursprünglich zweifädigem Antrieb
-> 2024 umgerüstet auf irische Bremse / Flügelbremse mittels Nylonfaden am Flyer-Wirtel
- Herstellungszeitraum (dieser Räder): ca. 1850 bis ca. 1920
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15.1.2025: Hier die Mailantwort von Nadja auf meine Anfrage, ob Sie mehr zu dem Rad weiß 🙂 lest selbst, das ist super interessant!
Hallo liebe Britta,
zunächst noch einmal ganz lieben Dank, dass Du Dich dem finnischen Spinnrad angenommen hast und so viel spannendes Hintergrund Wissen und Vergleichsobjekte gefunden hast. Ich arbeite schon seit 2015 nicht mehr als Restauratorin…schreibe Dir aber gerne auf, was ich noch so dunkel erinnere.
Die sogenannte Holzmalerei oder Holzimitat-Malerei, also das Malen von Holzmaserungen hatte seine Blütezeit im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Oftmals wurden günstige oder durch Astlöcher oder anderweitig „unheitlich“ aussehende Hölzer bemalt, um den Eindruck hochwertigerer oder gar exotischer Hölzer zu vermitteln. (Die Mode kam mit der Einfuhr exotischer Hölzer aus den Kolonialgebieten auf, die natürlich jeder haben wollte, die aber sehr selten und oft so kostbar waren, dass man sie nur an Adelshöfen oder in sehr reichen Familien haben konnte.)
Aus dem Imitieren der Holzmaserung haben sich auf kleineren Gegenständen, wie auch auf dem Spinnrad oft Ziertechniken entwickelt, wie auf den Seiten des großen Schwungrades. Der Untergrund, also das Trägerholz wurde oftmals mit einem Alkydharzanstrich vorbereitet, dem z. T. bis zu 5 Volumenprozent Talkum als Füllstoff zugegeben wurde, um einen gleichmäßigen Untergrund zu haben.
Dann wurde eine Lasurfarbe aufgetragen. Oftmals eine Öllasurfarbe. Bei der der hellere Farbton zunächst mit einem Pinsel aufgetragen wurde und dann in die noch feuchte Farbe eine zweite Schicht Pigmente eines etwas dunkleren Farbtons, die in Tropfbier oder Bierneige angeteigt waren. Als Pigmente tippe ich auf Weiß mit Chromgelb oder Chromorange und Ocker.
Dann gab es unterschiedliche Werkzeuge um Holztexturen oder Verzierungen aufzubringen. Entweder Pinsel oder sogenannte Modler aus Holz, mit Gummistiften bestückt oder aus Stahl mit denen in die noch feuchten Farbschichten die Muster gezogen wurden. Auf der Außenseite des großen Schwungrades bot es sich anscheinend an, den Modler zu drehen und zugleich das Rad zu drehen und somit die Wellenformen zu erzeugen. Ob dieses Muster typisch für die Räder aus Kiikka ist und ob sich dahinter eine bestimmte Bedeutung versteckt weiß ich nicht.
(Leider gab es eine Weile die „Mode“ mit Holzimitatmalerei bemalte Möbel abzubeizen und sich dann die „nackten“ Möbel aufzustellen. Damit sind viele Beispiele für diese Ziertechniken wie Bierfarbenlasuren, Holzmasertechniken und Verzierungen verloren gegangen. Gut, dass sie an diesem Rad geblieben sind :-))
Die grüne Farbe scheint aufgesprüht worden zu sein, das sieht jedenfalls unter dem Trittbrett so aus, das scheint mir nicht original zu sein, aber ich hatte mich mit dem Rad noch gar nicht so groß auseinander gesetzt. Ich hatte die Oberfläche nur vorsichtig von Staub gereinigt und mit einem Museumsreiniger die Oberfläche ein wenig nachgereinigt.
Nach den Holzarten müsste ich nochmal schauen, wenn ich es „live“ sehe. Dann könnte ich auch vorsichtig schauen, ob noch eine weitere Farbschicht unter dem grün versteckt liegt… (…)
Ansonsten wurde mir mal erzählt, dass Räder für junge Frauen zuweilen rot gestrichen waren, die Räder bei verwitweten Frauen schwarz lackiert wurden. Ob ein grünes Rad dann für Hoffnung steht? Ich weiß es nicht…ich weiß auch nicht, ob die Farbtheorien für hier genauso für finnische Objekte gelten 😉
Jedenfalls ist es hübsch…und vielleicht lerne ich noch es so zu bedienen, dass es die Wolle unserer Gotland Schafe schön verspinnt 🙂
Ich hoffe damit konnte ich Dir ein wenig helfen oder wenigstens noch mehr Fragen aufwerfen 😉
Liebe Grüße, Nadja