Raabenwolle

Louët „S10“ – Nr.8200

Dieses Louët „S10“ gehört meiner langjährigen Spinnfreundin Lydia, die mich bat, das alte Schätzchen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und ein wenig aufzuarbeiten, wo ich es für nötig hielte… na dann: mal los!

Louët baut meines Wissens nach seit 1974 dieses Spinnradmodell; es gehört wohl zu denen, die man am häufigsten gebraucht angeboten bekommt. Leider in oft erbarmungswürdig-ungepflegtem Zustand – doch da diese Räder nahezu unverwüstlich sind und man Ersatzteile gut zu kaufen bekommt, lohnt sich ein wenig Arbeitseinsatz schon. Sie sind stabil gebaut, dabei fast schmucklos klobig zu nennen und tun doch einen guten Dienst: insofern lohnt sich der vergleichsweise geringe Aufwand, wieder ein ansehnliches Spinnrad im Zimmer stehen zu haben.

Lydias „S10“ habe ich also zunächst mal auseinander genommen – ein normaler Koffersatz Werkzeug reicht dazu völlig aus: kompliziertes Werkzeug benötigt man nicht. Alle Teile habe ich mit feuchtem Mikrofasertuch und etwas Wasser plus einen Spritzer Orangenreiniger abgewaschen, angeschlagene Stellen und raue Oberflächen (nach Trocknung) fein geschliffen und anschließend mit offenporiger Holzschutzlasur gestrichen. Metallteile befreie ich gründlich vom Flugrost, alte Schrauben / Hutmuttern ersetze ich gern durch selbst sichernde Varianten. Auch die Haken des Flügels waren derart verrostet, dass sie mir beim Versuch, sie herauszudrehen, glatt abgebrochen sind. Also habe ich die Löcher mit Holzkitt verschlossen und neue Hakenösen auf der anderen Seite des Flügels angebracht. Ein neuer Knechtverbinder sorgt beim Spinnen für ein stabiles Trittverhalten: kein hin- und her-Gewackele mehr, wenn man den Fuß auf dem Brett hat. Das ist gleich viel angenehmer, weil man in einen ungestörten Spinnfluss kommt. Und ein etwas längerer, softerer und weniger dickerer Polycord sorgt dafür, dass der Antritt nicht so ruppig verläuft, sondern die Fasern sanfter eingezogen werden. So reißt einem Anfänger nicht gleich der Faden oder wird unsanft aus den Fingern gerissen. Die Lagerschale am Holz unter der Einzugsöffnung sollte nicht fehlen und ein wenig Wälzlagerfett macht sich hier genauso nützlich wie in der Buchse, in welche die Achse des Spinnflügels eingeschoben wird. Die Achse selbst sollte auch gut gefettet sein: leicht flüchtiges Öl ist hier ebenfalls fehl am Platze. Das Metall der Trittbretthalterung darf auch etwas davon abbekommen und die Stangen des Spulenhalters (welche auf diesen Fotos leider fehlen) ebenfalls.

Dann ist dieser Spinnradklassiker schon wieder einsatzbereit!

Das Louët „S10“ ist ein echtes Arbeitstier, von dem man auf Grund seiner Konstruktion keine Extravaganzen erwarten darf. Es spinnt klaglos Mittelstarke bis starke Fäden (ab ca. 1 mm Durchmesser) und kommt mit Stapellängen ab 5-7 cm gut zurecht. Der starke Einzug, den man leider auch durch völliges Weglassen der ledernen Bremse an der Einzugsöffnung nicht sanfter einstellen kann, macht es wirklich nicht leicht, noch feinere Fäden zu spinnen. Der Reibungswiderstand der Kunststoff-Einzugsöse auf der Lagerschale ist einfach zu groß, um weniger Einzug einstellen zu können. Selbst wenn man die Schale ausbauen würde, ist die Reibung von der Öse auf dem (im Durchmesser etwas größeren) Holzrund immer noch zu stark. Das ist und bleibt leider der limitierende Faktor bei diesem Rad…

Inzwischen habe ich schon mehrere Louët „S10“ besessen, repariert und restauriert  – und letztlich doch weitergegeben. Der starke Einzug stört mich persönlich doch zu sehr, als das ich gern und entspannt damit spinnen mag. Auch das Aufschaukeln des gesamten Rades bei einer bestimmten Trittfrequenz stört mich: hier hilft dann nur, die Trittgeschwindigkeit anzupassen und schneller oder eben langsamer zu treten. Dieses Schaukeln habe ich schon oft bei „Bockrädern“ erlebt und ich mag mich einfach nicht damit abfinden… schaukelt es doch gefühlt „immer bei der eigenen Wohlfühlgeschwindigkeit“.

(*) Als „Bockräder“ bezeichnet man Räder, die aufrecht stehen und bei denen sich der Spinnkopf oberhalb des Schwungrades befindet.  

Da die Spulen jedoch viel Garn fassen, benutzen viele Handspinner*innen das „S10“ gern zum verzwirnen. „Ein gutes, stabil stehendes Zwirnrad“ – so nennen und nutzen es die meisten Handspinner*innen, die ich kenne. Lydias Rad trägt überdies eine unterm Trittbrett aufgedruckte Nummer, was ich bisher noch nicht gesehen habe. Die meisten der alten Räder, welche ich bisher sah, trugen jedenfalls keine…

Nun, das Louët „S10“ ist auf jeden Fall einer DER Klassiker unter den Spinnrädern, auf denen viele Ihre ersten Kilometer Garn gesponnen haben dürften: ich mag seine einfache Schlichtheit, die mich immer an den „Bauhaus-Stil“ in der Architektur erinnert. Einfach, zweckmäßig, langlebig, und selbsterklärend in der Handhabung, dabei nahezu unverwüstlich gebaut!

 

PS: Eine offizielle „Timeline“ der Louët „S10“ Räder gibt es leider nicht… Louët hat im Laufe der Jahre offenbar immer weder kleine Verbesserungen hinzugefügt, ohne diese zeitlich zu dokumentieren. Dennoch lassen sich die „S10“ grob in zwei Typen unterteilen. 

1.) Die allerersten Räder wurden nur mit dem „Louët“-Logo  (in einem Rechteck mit abgerundeten Ecken) versehen, welches sie auf dem Tragholz des Spinnkopfes eingebrannt tragen. Der Ur-Flyer hatte eine U-Form mit einer zusätzlichen „Nase“, welche innen auf die Spule zeigte: dieser Flyer scheint allerdings sehr schnell gegen den neuen, bis heute üblichen ausgetauscht worden zu sein. Die Ur-Spulen hatten zwar schon zwei unterschiedliche Wirtelgrößen, aber nur eine Rille für den Antriebsriemen, welcher in der größeren Wirtel untergebracht war. Die Kerne der Spulen waren aus grauem Kunststoff. Das Tragholz des Spinnflügels war zwar schon aus einem Stück, hatte aber unten links und rechts Ausklinkungen, die den Querholm aufnahmen. Die Achse war mit einer einfachen Mutter gesichert, welche vorn auf dem Knecht saß und sozusagen zum Spinnenden hin zeigte.
-> schaut selbst: in der Galerie habe ich Euch die Kopie eines alten Prospektes und der dazugehörigen Preisliste vom Juli 1978 (!) beigefügt <- 

2.) Die neueren Räder der alten „S10“-Reihe sehen so aus, wie das hier in der Galerie gezeigte. Mit der Ergänzung „S10“ unter dem Logo und einem Spinnflügel, welcher aus einem Streifen Multiplex in Form gebogen wurde. Die Spulen haben einen dunkelbrauen Kern und die unterschiedlich großen Wirtelspulen sind mit zwei Rillen ausgestattet, so das zwei Übersetzungen zur Verfügung stehen. Die Achse ist nach hinten mittels Hutmutter gesichert und der Knecht wird mit einem weißen Kunststoff-Klick-Verbinder ans Rad angeklickt. Ein schnelles Tauschen des Antriebsriemens ist so möglich: man braucht die Schrauben des Knechtverbinders nicht mehr zu entfernen. Das Tragholz des Spinnkopfes besteht aus einem Stück und wird von vorn an das Querholz geschraubt.
Und die letzten Herstellungsjahre hat man die Räder offenbar durchnummeriert: insofern dürfte dieses Rad mit eines der letzten sein, die vor der Einführung des neuen Modells hergestellt wurden.
-> Meine Vermutung ist, dass Lydias Rad nach 2000 gebaut wurde… aber das ist nur meine persönliche Einschätzung! Ich wüsste es allerdings zu gern genauer 😉 <-

 

Fa. Louët, Kwinkweerd 139, 7241CW Lochem, The Netherlands (Holland)
Spinnrad „S10“ hergestellt von ca. 1974 bis 2015
(Entwurf des ersten „S10“-Modelles 1974 – mit rotem Trittbrett, Spinnrad & Spinnflügel)

  • Rahmen und Spinnkopfhalter aus Buchenholz
  • Trittbrett, Schwungrad, Knecht und Spulenwirtelscheiben aus Birken-Multiplex
  • 75 H x 50 B x 35 cm T
  • Gewicht 6 KG
  • Einzeltritt, rechtsseitig
  • Einfädiger Antrieb / Polycord mit 0,4 cm Durchmesser, 1,6 Meter Länge
  • zwei Antriebsverhältnisse durch unterschiedliche Wirteldurchmesser an den alten Spulen von 1:5 und 1:6,5 (*)
  • „Irische Bremse“ / Bremse an der Einzugsöffnung, d.h. Flügelgebremst
  • metallener Spulenhalter „Lazy Kate“ für 2 Spulen, links am Standholz, abnehmbar
  • 3 Spulen mit ca. 150 Gramm Fassungsvermögen
  • Spinnrad Durchmesser 50cm / Loch 9,5 cm
  • Spinnöffnung Durchmesser 12mm / in 70 cm Höhe
  • Achse des Schwungrades kugelgelagert
  • Sonderzubehör: aufsteckbare Kreuzhaspel

(*) Diese älteren Spulen sind (2024) nicht mehr erhältlich, aber die aktuell bestellbaren Spulen passen auf das alte „S10“. Die neuen Standardspulen verfügen über drei Rillen auf einer Seite der Spule, wodurch Übersetzungsverhältnisse 1:5,5 / 1:7,5 und 1:10,5 erreicht werden können (Art.Nr. SA0102). 

Preise Juli 1978:
290DM
(heute wären das 149€) Einzeltritt“S10″

Preise 2024:
ca. 461€ / Einzeltritt „S10“
ca. 590€ / Doppeltritt „S10 DT“
ca. 335€ / Einsteigermodell „S17“

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Das Nachfolger-Modell heißt: Louët „S10C ST Classic IrT“
(erhältlich seit März 2015)

flügelgebremst
Spinnflügel mit Haken (SP0100)
Einfachtritt
1-fädiger Antrieb
Spinnflügel mit Haken
Buchenholz und Birkenmultiplex, lackiert
inklusive Zwirngestell
drei Spulen mit Kapazität von ca. 100g bis 150g
regulierbare Bremse des Spinnflügels
wartungsfreie Kugellager
Raddurchmesser: 500 mm
Einzugsloch: 12 m in 70 cm Höhe
Antriebsverhältnis: 1:5,5 – 1:7,5 – 1:10,5
Gewicht: 6,0 kg
ausgeliefert als Bausatz

Optionales Zubehör / nicht im Lieferumfang enthalten:
Extra Spulen
Schnellspule & passender Spinnflügel
Bulky-Spule & passender Spinnflügel
Separate zusammenklappbare Haspel
Separate Zwirnhalterung mit einstellbarer Abbremsung für vier Spulen
Extra Zwirnvorrichtung und Zwirnregal
als Doppeltritt lieferbar

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Weiterhin gibt es noch das „Louët S10 Concept“
(erhältlich seit 2020?)

Dieses Spinnrad wurde zum Jubiläum der Firma Louët entwickelt. Es kann nach eigener Wahl zusammengestellt werden – doch es gibt auch schon fertige „Pakete“ zu kaufen. Später können einzelne Teile modular ausgetauscht / hinzugefügt werden: so wird das „S10 Concept“ zum ganz persönlichen Wunschspinnrad.

  • Einzel- oder Doppeltritt
  • verschiedenen Schwungräder / z.B. mit 5 Speichen
  • Irish (Flügelbremse) oder Scotch Tension (Spulenbremse)
  • Einzel- oder Doppeltritt
  • mehrere S10C-Pakete mit Preisvorteil erhältlich
  • Buchenholz und Birkenmultiplex, lackiert
  • Treibraddurchmesser 50 cm
  • Einzugshöhe 70 cm
  • regulärer Flügel: Scotch Tension / Einzugsöffnung 12 mm reduzierbar auf 8 mm
  • Übersetzungsverhältnis Scotch Tension  1:6, 1:8,5, 1:12,5, 1:19
  • regulärer Flügel Irish Tension / Einzugsöffnung 10 mm
  • Scotch Tension Spule regulär Kapazität 393 cm³
  • Übersetzungsverhältnis Irish Tension 1:5,5, 1:7,5, 1:10,5
  • Irish Tension Spule regulär Kapazität 670 cm³
  • Kugellager im Treibrad und Flügel
  • 1 Spulenhalterung/Abspulvorrichtung am Spinnrad
  • Gewicht ca. 6 kg

Nachtrag:

Ich werde oft gefragt, „welches Louët-Rad hab ich denn hier?“ Und dann stellt sich heraus, dass es sich zwar um ein Spinnrad mit runder Multiplexscheibe handelt, aber die  Ausschnitte nicht nur aus einem runden Loch bestehen. Das Rad also kein „S10“ ist, obwohl es auf den ersten Blick so aussieht…

Unterscheidet also wie folgt:

  • 1 Ausschnitt in dreickiger Torten-Stück-Form: ???
  • 3 gleichmäßig große Kreisausschnitte, im Dreieck angeordnet: Richard Wernekinck „Rotterdam“ (*)
  • 1 runder Kreisausschnitt, sehr nah am Rand der Schwungscheibe, im Durchmesser kleiner als beim „S10“. Dazu ein 6-zackiger Stern mit Innenkreis eingebrannt auf Flügelhalter. Webstuhl Manufaktur Künzl, Modell „Stern“.
  • 5 Kreisausschnitte auf dem Schwungrad, dazu ein Doppeltritt: Handwerk und Design (Consum Centrum), Modell „Kelly“
  • 6 Ausschnitte in dreieckiger Torten-Stück-Form: Adolf Thiemann GmbH & Co.KG, Rheine Modell „Werk Willy (Klassik)“ oder auch „Bea“ genannt (wenn im Flügelhalter die Buchstaben eingeprägt worden sind) (*)
  • 2 gleich große Kreisausschnitte, gegenüber angeordnet. Hersteller mir unbekannt, Modell „Ariadne“. Spätere Modelle haben 4 gleich große Kreisausschnitte, im Quadrat angeordnet.
  • 3 dreieckige Torten-Stück-Formen nebeneinander, zwei kleine links und rechts, ein etwas größeres in der Mitte, dicht nebeneinander parallel zum Rand des Schwungrades angeordnet. Rayher Klassik, Modell „Modern“ (*)

(*) gesichert: dieses Modell mit Hersteller-Prägung gesehen