Nachdem ich neulich mein Rahmenspinnrad erworben habe, hat mich die Frage der Herkunft dieses hübschen Rades beschäftigt. Die Verkäuferin meinte, es könnte aus Tirol stammen – sie meinte, sich zu erinnern, so etwas mal in einem Buch gelesen zu haben…
Tja, da musste ich mir die „Geschichte und Bedeutung des Spinnrades in Europa“ von Sigrid Vogt doch gleich mal von meiner Lieblingsbuchhändlerin Uta antiquarisch besorgen lassen. Und was soll ich sagen: hervorragendes Lesefutter! Suuuuper interessant!
Die verschieden Spinnradtypen zu erkennen, hat mich bis jetzt nicht wirklich herausgefordert, denn ich unterscheide bisher „nur“ Bockräder (Spinnkopf senkrecht über Schwungrad) oder „Ziegen“, also Längsräder (Spinnkopf horizontal / auf gleicher Höhe wie Schwungrad). In verschiedenen Ausführungen, natürlich: Einzel- oder Doppeltritt / Einzel- oder Zweifädiger Antrieb / Spulen- oder Spinnkopfbremse. Doch was ich da gelesen habe, hat mir sehr die Augen geöffnet.
Und so bin ich drauf gekommen, mir mal anzuschauen, wo die „Hochzeitsräder“, von denen ich Eines weiter gegeben habe und sich ein Zweites in meinem Besitz befindet, wohl herkommen könnten. Seit langem habe ich mir Fotos und Notizen abgelegt, wenn ich solch baugleichen Räder im Netz gefunden habe. Die Verzierungen, die Farbe, die Bemalung sind sehr individuell gestaltet, doch die Räder stammen unverkennbar von einem Drechsler und wahrscheinlich auch aus (s)einer Werkstatt.
Als ich die Räder kaufte, hatte ich nur die Info von der Vorbesitzerin des Rades, welche in Obernkirchen wohnt: es sollte aus einem reichen Gutshof in Schaumburg stammen – die Besitzerfamilie hatte es als Aussteuer für die Tochter gekauft. Der Hersteller des Rades sollte wohl in Bremen ansässig gewesen sein – denn der Gutsbesitzer hatte dorthin (Handels-) Beziehungen. Tja, mehr war nicht zu erfahren … bis ich also jetzt das Buch in die Hände bekam. Dort ist von einem „Spinnrad-Drechsler aus Leese bei Bremen“ die Rede, der „um 1900 aktiv gewesen“ sei. Er habe „Brauträder“ für die „Töchter reicher Bauern“ für deren Aussteuer hergestellt. Obwohl die Zeit der industriell benutzten Hungerräder um 1910 bis 1925 längst vorbei war, scheinen diese Räder sich damals noch großer Beliebtheit erfreut zu haben und wurden offenbar als Brautgabe extra von einem Drechsler angefertigt. Ein einfacher Tischler hätte solch feine Holzarbeiten nicht fertig bekommen…
Das heißt aber auch, dass diese besonders schönen Räder eher aufgehoben und bis in unsere Zeit gerettet wurden: der Herr, welcher den Hof in Schaumburg ausgeräumt hatte, fand dieses Doppelbockrad viel zu schön, um es in den Ofen zu stecken. Und so kam es zu er Mutter meiner Bekannten – und letztlich zu mir.
Nun habe ich mal alle Infos auf dieser Karte zusammen gefasst: die farbigen Markierungen habe ich für den Text übernommen:
Spinnrad-Drechsler, Leese bei Bremen
Sophie Rothermund, 1924, Leerssen
Emma Hövel, 1921, Essen
Emma Schilling, 1909, Barmstedt
Maria Wührmann, 1922, Kiel
ohne Namensschild / Privatverkauf: Standort 31683 Obernkirchen
o.a. / online-Verkauf: Standort 27248 Ehrenburg
ohne Namensschild / online-Verkauf: Standort 47652 Weetze
Maria Reuke, 1902, ohne Ortsangabe / online-Verkauf: Standort Papenburg
o.a. / online-Verkauf: Standort 38444 Wolfsburg
Meta Wührmann, 1922 / online-Verkauf: Standort 24143 Gaarden bei Kiel
Wenn ich nun in der Karte einen Kreis um die beiden äußeren Markierungen setze und nach innen weitere konzentrische Kreise einzeichne, zeigt der Mittelpunkt genau den Ort, an dem der mutmaßliche Spinnradhersteller seine Werkstatt gehabt haben soll – verrückt nicht? Die gesetzten Markierungen kreisen den potenziellen Herstellungsort geradezu ein … und meine Theorie scheint sich zu bestätigen: der Drechsler aus Leese ist vermutlich der Hersteller der schönen „Brauträder“.
Und ich komme mir ein bisschen wie ein Polizist im Kriminalfilm vor: die stehen doch auch immer vor einer Karte mit Markierungsnadeln herum und sinieren vor sich hin…um dann eine plötzliche Eingebung zu haben und den Fall *schwupps* zu lösen.
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