„Benito“ – diesen schön klingenden Namen gab Björn meinem dunklen Zwillingsbock im April 2021. Und, wie sich heute herausstellte, trägt er diesen Namen völlig zu Recht.
Schon seit langer Zeit beäuge ich das Hornwachstum meiner Jungböcke argwöhnisch: seit ich Skudden halte, kommt es recht selten (aber für meinen Geschmack immer noch viel zu oft) vor, dass die gewundenen Hörner den Wangenknochen zu nah kommen. Zwei Fingerbreit Abstand zwischen Wange und Horn ist üblicherweise das Zuchtziel bei der Herdbuchzucht von Skuddenböcken. Eine weitere Zuchtlinie bei Skudden sieht sogar eine ganze Handbreit vor. Wenn sich Horn und Haut berühren, spricht der Schafzüchter von „Klemmern“ – was bedeutet, so ein Tier bekommt irgendwann wunde, offene und letztlich entzündete Stellen direkt unter dem Auge. Was passiert, wenn Fliegen eine solche Stelle entdecken, mag man sich nicht ausmalen.
Die weit verbreitete Meinung aller Skuddenhalter, die ich kenne, war also unisono: der Bock muss dann geschlachtet werden. Denn die Hörner, so erzählte man mir, bestünden außen aus einer recht dicken Hornhülle – innen aber seien sie mit einem durchblutetem Kopfauswuchs gefüllt, der aus einer Luffa-Schwamm-ähnlichen Knochenmasse bestehe. Und diese würde sich durch die ganze Hornlänge ziehen. Das bedeutet, ein Absägen des Hornes würde unweigerlich zu Blutungen führen, welche sich nur schwer stillen ließen. Und die Schnittstelle müsste verschlossen werden, damit kein Ungeziefer Eier darin ablegen könnte.
Und so sah ich mich im Sommer damit konfrontiert, das dieses Schicksal auch meinem schönen „Benito“ eines nahen Tages widerfahren könnte. Bei seinem Halbbruder „Belami“ hatten sich die Hörner rechtzeitig wieder nach außen gewunden, doch bei „Benito“ nicht. Der moppelige „Fergus“, welchen ich von einer Bekannten gekauft hatte, stammt aus einer anderen Zuchtlinie: hier stehen die Hörner sehr weit auseinander.
Da ich alle gefragt hatte, die ich kannte, startete ich noch einen letzten Versuch, womöglich eine Lösung zu finden: über Instagram kam dann die rettende Idee über einen Skuddenzüchter aus Vlotho, den ich ganz zu Anfang meiner Schafliebe in „Haus Düsse“ bei einer Bockkörung flüchtig kennengelernt hatte. Wir telefonierten, und so erfuhr ich, dass er schon Erfahrung mit der „Enthornung“ von Skudden gemacht hatte. Wobei „Einkürzung“ der Hörner in diesem Fall korrekter ist, denn die Hörner werden nicht (wie bei Rindern üblich) direkt nach der Geburt am Ansatz verödet, sondern eben eingekürzt. Dabei hätte er eine Knochensäge benutzt. Wir telefonierten recht lange und ich erfuhr noch viel mehr. Am Wichtigsten war jedoch die Info, dass sich das durchblutete Knochengewebe keinesfalls durch das gesamte Horn zöge, sondern nur ca. 15 cm vom Kopfansatz aus durchblutet sei. Er berichtete mir aus eigener Erfahrung und ich war am Ende des Telefonates erleichtert. Das war die Chance, das war die Info, die zu finden ich gehofft hatte!
Ich kaufte im Netz also eine -tierisch schwere- Ochsenkopf Knochensäge mit sauscharfem Sägeblatt und kam mir dabei schon wie ein angehender Serienmörder vor. (Wenn ich noch XXL-Kabelbinder, Gaffatape und auslaufsichere Mülltüten bestellt hätte, hätte das sicher irgendein Algorithmus herausgefiltert und dann wäre wahrscheinlich die Polizei aufgetaucht…so fürchtete ich.) Gleichzeitig sprach ich mich mit meinen Tierärzten ab, wie genau das Vorgehen sein würde, welche Komplikationen womöglich auftreten könnten und was dann zu tun wäre… Mir war tagelang total mulmig bei dem Gedanken und Björn schlief die Nacht vor dem Eingriff richtig schlecht – aber was wäre eine mögliche Alternative für den sanftmütigen „Benito“ gewesen? Keine. Eben. Drum.
Also wagten wir den ultimativen Versuch. Letztlich ist dann doch nicht die Ochsenkopf-Bügelsäge zum Einsatz gekommen, sondern eine Handsäge, die aus zwei Griffstäben und einer Stahlseele besteht. (Und von der ich noch immer nicht weiß, wie sie wirklich korrekt heißt.) Die Säge ermöglicht einfach nicht den richtigen Winkel: entweder ist das äußere Hornende im Weg oder ein Ohr… oder gar ein Bein. Außerdem muss man zum Kopf und zum Auge hin sägen, was kritisch ist. Die Seilsäge kann man von innen heraus um das Horn führen und die Schlinge zieht sich beim Sägen zu. Die sich entwickelnde Hitze schmilzt die Hornmasse und verschließt ggf. die Sägefläche. (mein Tipp: egal wie anstrengend es ist, haltet niemals dabei inne. Niemals! Das Stahlseil wird geradezu eingebacken und ist nur mit größter Anstrengung wieder heraus zu bekommen!)
Bei „Bento“ wurde eine halbe Windung stehen gelassen: das abgetrennte Stück war noch ganz ausgefüllt, so dass keine offene Stelle am verbleibenden Horn zurückblieb. Jetzt müssen wir das Horn nur noch (auf der zum Kopf hin gewandten Seite) nach und nach etwas dünner schleifen, damit es später -beim Weiterwachsen und länger werden- am Auge vorbei passt. Auch das zweite Horn musste gekürzt werden, um eine Fehlhaltung zu vermeiden, denn das Skuddenhorn ist extrem schwer. (Ein einzelnes Horn eines ca. 7-Jährigen Bockes wiegt über 1 Kilo – und das Tier hat zwei davon. Und sie wachsen immer weiter und werden schwerer, solange das Tier lebt.) Außerdem könnten die Tiere z.B. im Zaun hängen bleiben, weil sie nicht realisieren, das die Hörner unterschiedlich lang sind. Wie denn auch: natürlicherweise sind sie ja gleich lang.
Letztlich bin ich wahnsinnig froh, dass die Behandlung von „Benito“ von Erfolg gekrönt ist. Zunächst natürlich um des schönen Bockes willen, der so ein Hübscher ist mit all seinen außergewöhnlichen Farben und seiner Scheckung. Er trägt sogar ein Tan-Gen, was sehr selten ist. Leider werde ich ihn nun nicht mehr zu den Damen lassen können, denn diese Hornanlage will ich ihn auf keinen Fall weiter vererben lassen.
Doch hauptsächlich bin ich sehr froh nun bewiesen zu haben, dass man die Bockhörner von Skudden -entgegen der landläufigen Meinung- tatsächlich einkürzen kann, ohne dem Tier Schaden zuzufügen. Was die Optik angeht, kann man sich sicherlich streiten… Doch dem Bock selbst scheint kein Nachteil entstanden zu sein: er rauft genauso mit seinen Kumpels wie bisher. Und er gewinnt auch weiterhin – auch wenn ihm die seitlichen Hornspitzen als Verteidigung und Schutz nicht mehr zur Verfügung stehen.
So, „Benito“. Dann bedank Dich erst mal bei Deinem Namensgeber – dem Mann, der vor Dir noch nie ein Schaf auf dem Arm hatte. Und der Dir heute so beherzt zur Seite gestanden hat!
Und dann will ich mich noch bei Sabine und Michael bedanken – Ihr seid wirklich klasse Tierärzte. Danke, dass ich auf Euch und Euren fachlichen Rat vertrauen kann!
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