Raabenwolle

Unbekannter Drechsler – „Ziege“ aus Eichenholz

Dieses Spinnrad kam im April 2024 zu meiner langjährigen Spinnfreundin Birgit, die mich bat, ob ich es wieder spinnbar machen könnte, ohne allzu viel Aufwand zu treiben… klar, mach ich, liebe Birgit.

Das schwere Eichenrad war nicht wirklich defekt; ich habe nur fix ein paar kleine Dinge geändert, um es spinnbar zu machen:
– den Knecht am hoch- und runterrutschen auf der Achse hindern (den Naturkorken zugeschnitten und fest geklemmt)
– den Knechtschaft und das Trittbrett fest verbinden (ein gutes Lederstück aus einem alten Gürtel geschnitten und sicher mit einem Achtknoten fixiert)
– alle Metallteile (Achse, Trittbrettholz-Lagerbuchsen, Spinnflügel) entrostet und
gut gefettet (hier tut das altbewährte SKF-Wälzlagerfett gute Dienste)
– wenn nötig & gewünscht könnte man es noch mit offenporiger Lasur ölen (aber ich finde das rohe Eichenholz hat einen ganz eigenen Charme) oder
etwas Zitronen-Möbelwachs benutzen (Birgt, wenn Du magst?! just do it! )

Okay, fertig. Nun noch die Fadenspannung eingestellt und fix mal das alte Schätzen ausprobiert, dachte ich mir. Doch was war das?
Verdutzt schauend wurde mir schlagartig klar, dass die Fadenspannung nicht über ein Holzgewinde am vorderen, linken Drehgriff eingestellt werden kann, wie es bei dieser Räder-Bauart üblich ist. Die ganze Gewindestange fehlt! Stattdessen hat es unter dem Hauptbrett einen Knebel, der mittels Flügelschraube gelöst werden kann. Dann lässt sich der gesamte Spinnkopf samt Haltern nach links verschieben, um die Fadenspannung zu erhöhen. Okaaaaaaayyyyy… das ist ja mal interessant!

Dann wurde mir auch klar, warum der Spinnflügel und die Spule so grobschlächtig gearbeitet ist: üblicherweise wird hier hochwertigeres Holz verwendet, welches feiner bearbeitet werden kann. Das gesamte Rad ist jedoch nur aus einer einzigen Holzart, nämlich Eiche, gebaut worden. Der Spinnflügel trägt winzig kleine Haken, welche selbst für Flachsfäden nur einen sehr kleinen Durchlass bieten – und sind zudem auf der falschen Seite des Flügels angebracht. Der Spulenkern ist im Durchmesser viel zu klobig… hhhmmm.  Außerdem fiel mir auf, dass die horizontalen Stangen, welche üblicherweise ebenfalls Gewinde tragen, fest mit den Standhölzern, die das Schwundrad tragen, verleimt worden sind.

Oh, und das Querholz des Trittbrettes ist so hoch über dem Boden angebracht, dass man das Knie beim Treten gefühlt fast unterm Kinn hat – komfortabel ist das nicht. Wieder ein Hinweis, dass der Erbauer wahrscheinlich nicht selbst spinnen konnte, aber (für seinen Auftraggeber und sicher auch für seinen eigenen Anspruch) versucht hat, mehr als nur eine gute Arbeit abzuliefern.

Okay, das war das letzte Puzzleteil in diesem Spinnrad-Rätsel, welches mir fehlte…

Sorry, Birgit, aber dieses Rad ist bestimmt nicht dafür gedacht gewesen, darauf irgendeine Faser zu spinnen: ich denke, es ist ein sehr liebevoll gemachtes Deko-Spinnrad. Gebaut wahrscheinlich von einem Drechsler, der sich an den alten norwegischen / skandinavischen Spinnrädern orientiert hat. Prominentester Vertreter dieses Radtypes ist sicherlich das „Polonaise“ der polnischen Firma Kromski & Sons. Kromski schreibt auf der Homepage, dass die „Polonaise“ sehr detailgetreu nach historischen Vorbildern gebaut wird. Hier nimmt man die Radwinkeleinstellung per Holzgewinde an den oberen Querhölzern vor: doch an diesem Rad fehlen sie völlig. Ein sicherer Hinweis darauf, dass der optische Eindruck eines skandinavischen Rades gewollt war… aber die Funktion letztlich zweitrangig war. Oder dass der Erbauer das Rad nach einer Vorlage (vielleicht ein Urlaubsfoto) gebaut hat, aber selbst nicht spinnen konnte. Auch das Schwungrad fällt deutlich kleiner aus, als bei den originalen Rädern. Wurde es vielleicht als Wohnzimmer-Deko-Objekt nach einem Skandinavien-Urlaub beim örtlichen in Drechsler in Auftrag gegeben? In den 1960/70er Jahren waren Spinnräder in deutschen Eiche-Rustikal-Wohnzimmern mit dunkler Deckentäfelung super modern…

Und obwohl ich mir sicher bin, das dieses Rad ursprünglich ein schönes Dekostück gewesen sein muss, konnte ich auf Anhieb einen feinen Wollfaden darauf spinnen.
Dieses Rädchen ist ein kleines Wunder 🙂 Viel Spaß damit, liebe Birgit!   

 

Hersteller unbekannt – (Deko-)Spinnrad nach „Ziegenbauart“

  • Komplett aus Eichenholz
  • 96 H x 86 B x 38 cm T
  • Durchmesser Schwungrad 47,5 cm
  • Gewicht „gefühlt“ ca. 9kg
  • zweifädiger Spinnkopf
  • Einzeltritt