Raabenwolle

Konrad Sickinger „Stauferland“

Konrad Sickinger entwickelte und baute diese hervorragenden Reiseräder, von denen ich mittlerweile Einige bespinnen durfte und eines sogar mein Eigen nennen darf. Sie sind wunderbar verarbeitet, trotz des geringen Gewichtes robust und sehr standfest, wirken aber leicht und schön in ihrer Schlichtheit. Man kann darauf hervorragend feine Fäden spinnen – nur bei sehr dicker Wolle stößt das süße Rädchen an seine Grenzen.

Meine „Ulrike“ (nach der lieben Frau Wellnitz, von welcher ich sie habe, benannt) ist übrigens 1985 gebaut. Im Netz habe ich auch schon Räder von 1972 bis 1986 gesehen… Die Räder sind auf der Unterseite des Kopfbrettes mit „HMS“ und der Jahreszahl mittels tiefer Fräsung gekennzeichnet. Leider weiß ich nicht zu sagen, von wann bis wann Herr Sickinger seine Räder produziert hat… aber Ihr vielleicht?

Die alten Modellvarianten des „Stauferlandes“ unterscheiden sich nur in der Größe des Spinnflügels bzw. der Spulen und des Durchmessers des Einzugslochs. Der kleine Flügel hat eine Spinnöffnung von 7 mm mit einer Spulenkapazität von ca. 80 Gramm und läuft im Übersetzungsverhältnis 1:7. Der Große Flügel läuft mit 1:5, besitzt eine Spinnöffnung von 13 mm bei einer Spulenkapazität von ca. 120 Gramm. Das Rad wird geölt geliefert und die Spulen sind aus Kirschbaumholz gefertigt.

Die Räder wurden ursprünglich von 1960 bis ca. 1990 von Herrn Konrad Sickinger erdacht und auch gefertigt. Seit er aus Altersgründen nicht mehr arbeitet, können die Räder dennoch weiterhin bei seinem Nachfolger bezogen werden, der jetzt noch solche schöne Spinnräder herstellt. Wer jetzt unbedingt eines will: im Netz kann man sowohl gebrauchte finden als auch Herrn Matthias Paulitz (be)suchen – und dort ein Neues bestellen: gebt das Schlagwort „Inspiration Holz“ gleich mit ein, dann werdet Ihr schneller fündig.

Die Räder sind als „Reiserad“ konzipiert: mittels dreier Flügelmuttern, welche sich unterhalb des Kopfbrettes befinden, kann das Rad schnell zerlegt und auseinander gebaut werden. Gut in einer Tasche der einem Hardcover-Case verstaut, lässt es sich leicht transportieren und ist dann ebenso schnell wieder aufgebaut. Ich selbst mache das aus Bequemlichkeit nicht oft. das Rädchen ist ohnehin so leicht und handlich, dass ich es lieber „so“ mitnehme. Man sollte nur drauf achten, dass es nicht an der Achsstange aufschlägt oder fest anstößt. Dann verbiegt das Messngauge leicht und der Knecht beginnt zu schleifen…

Im Laufe der letzten Jahre durfte ich schon mehrere „Stauferländer“ besitzen bzw. aufarbeiten. Als die Räder zu mir kamen, waren sie im Prinzip völlig in Ordnung – was ich nicht von den meisten der anderen Räder sagen kann. Mir blieb nur, die Metallteile zu fetten und den Riemen zu erneuern. Und weil alle Räder sehr trockenes Holz aufwiesen, habe ich sie mit meiner Lieblingslasur geölt und anschließend (zur Mattierung) gut mit einem weichen Leinenlappen abgerieben. Das Holz wurde sofort wieder schön und sie sahen (und sehen) weder fast wie neu aus – und schnurren leise vor sich hin.

Wobei man allerdings etwas aufpassen darf, ist, die Bolzen der Achse mit der abgeflachten Seite wieder korrekt an die Achse zu platzieren: Herr Sickinger hat in seiner „Montageanleitung“ extra darauf hingewiesen. Und man tut gut daran, es ab und zu einmal zu kontrollieren: das Rad dreht um Längen leichter.

Und da es sich um ein sogenanntes zweifädiges Rad handelt (eigentlich ist es ja nur ein Band, welches zweifach um Schwungrad und Achswirtel gelegt wird) muss man beim Verzwirnen von dickeren Garnen etwas acht geben. Der Kreuzungspunkt der Fäden liegt, wenn man rechts herum den Faden spinnt, auf der Unterseite – und liegt somit sozusagen in Richtung des Bodens. Wenn man jedoch zwirnt, verschiebt er sich auf die obere Seite, welche der Zimmerdecke zugewandt ist. Der Kreuzungspunkt liegt dann zwischen der Spinnflügel-Wirtel und dem Schwungrad. Je strammer man den Antriebsfaden einstellt, weil man z.B. dickere Fäden verzwirnt, je weiter wandert er nach links, zum Spinnflügel hin. Und manchmal ist der Abstand zwischen den beiden Fäden dann so gering, dass die Fäden nicht mehr genug Raum haben, sich auszurichten und ganz parallel auf den Wirtel aufzulaufen. Und dann springt der Faden von der Wirtel und läuft ab… was manchmal ein wenig nervig ist. Wären das Kopfbrett nach links zum Spinnkopf hin nur ein wenig länger, hätte der Spinnkopf etwas mehr Abstand zum Schwungrad. Und dann, so ich vermute ich, könnte das Problem schön gelöst sein… so zumindest meine Idee.

Wie die anderem Modelle von Herrn Sickinger sich spinnen lassen, kann ich leider nicht sagen, denn ich hatte noch nicht das Vergnügen, sie spinnen zu dürfen.
– Es gibt jedoch noch das Modell „Vogesen“, ein kleines Bockrad mit gewollt kindlich-verspielt-dicken Speichen.
– Auch ein wohl ganz ursprüngliches „Vogesen“ mit zwei kleinen, dicht beieinander angeordneten Kugeln in den einzelnen Speichen habe ich schon mal gesehen.   
– Dann noch ein kleines, helles Spinnrad in liegender Bauart, eine sogenannte „Ziege“, dessen Modellnamen ich noch nicht in Erfahrung habe bringen können.
– und eine weitere Ziege, dunkler im Holz, mit mehr Verzierungen und einem durchbrochenem Trittbrett, in den das Rundholz des Trittes eingebettet ist.
– Außerdem habe ich einmal ein Foto von einem Sickinger-Bockrad mit dreieckigem Untergestell gesehen… im Stil der französischen Spinnräder. Dieses Modell hat Herr Sickinger „Lothringen“ genannt. Das Rad und der Spinnflügel sind mit dem des „Stauferlandes“ identisch.
Alle Modelle haben übrigens immer einen zweifädigen Antrieb und einen Einzeltritt. Und Sie sind immer mit baugleichem Spinnflügel und den dazu passenden Spulen ausgestattet.

Abschließend kann ich nur sagen: die „Stauferländer“ sind echte Schätzchen, denen man die fachkundige Herstellung anmerkt – ich finde sie absolut empfehlenswert!

 

Technische Daten der älteren „Stauferländer“
-konstruiert & gebaut von Herrn Konrad Sickinger / markiert mit „HMS & Jahreszahl“-
(Hans-Martin) H.M. Sickinger Spinnradbau, Lauchstraße 34, 7340 Aufhausen
Zweifädiges Spinnrad:   ohne Werkzeug auf- und abbaubar
Holz:                                  unlackiert, geölt
Spulen:                              Kirschbaumholz, Fassungsvermögen 80 Gramm bei der Standardspule / 120 Gramm im großen Spinnflügel
Einzugsöffnung:              7mm Standardflügel / 13 mm im großen Spinnflügel
Übersetzung:                    1:7  Standardflügel / 1:5 beim großen Spinnflügel

 

Technische Daten / Verbesserungen der neueren „Stauferländer“-Modelle
-gebaut von Herrn Michael Paultiz-
Stabilisierung des Standes durch Verstellschraube/Knopf am vorderen rechten Fuß des Rahmens

Spinnkopf mit 3 Übersetzungen: 1:5, 1:7, 1:9
Einzugsloch von 13mm in ca 58cm Höhe
Schwungrad mit ca. 35cm Durchmesser
zweifädiger Antrieb
3 Spulen mit ca. 100gr. Fassungsvermögen
Spulenhalter für drei Spulen
Einzugsfädler
Aufbau- und Pflegeanleitung

 

Weitere Infos

Die „alten Stauferländer“ mit dem 13mm-Spinnflügel können von Herrn Paultiz auf den neuen Spinnkopf umgerüstet werden.
Es wird die alte Antriebsscheibe gegen eine neue (mit 3 Übersetzungen) ausgetauscht und dazu müssen dann auch neue Spulen verwendet werden.

Die Räder, welchen einen Spinnflügel mit dem 7mm Einzugsloch besitzen, können nicht so einfach umgerüstet werden.
In diesen Fällen bietet Herr Paulitz an, einen ganzer neuen Spinnkopf -mit den entsprechenden Spulen- zu bauen.

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Nachtrag 11-2023:
Übrigens hatte Herr Sickinger Brüder, welche auch Spinnräder herstellten! Wie cool ist das denn?!
Lest hier mehr darüber, was ich herausfinden konnte…