Raabenwolle

Gerhard von Schwarzenstein „Reiserad Michi“

Seit dem Frühjahr 2015 spinne ich am Spinnrad – zunächst war das nur die weiche Unterwolle meiner Skudden. Schnell infizierte ich mich zunehmend mit dem allseits bekannten und hoch infektiösen Woll-Sammel-Virus und im Winter erreichte meine Experimentierfreudigkeit in Bezug auf Fasern einen echten Höhepunkt. So verspann ich alles, was mir unter die Finger kam: egal ob Hund, Katze, Schaf, Alpaka oder Langhaarmeerschweinchen – sogar „Unspinnbares“ wie alte Tonbänder, in Streifen geschnittene Plastiktüten und Seidenpapier. Schnell stellte ich damals fest, dass insbesondere sehr kurze oder sehr lange Fasern echte Anforderungen an mein handwerkliches Können stellten. Aber ich musste auch feststellen, dass die technischen Möglichkeiten meines Spinnrades mir zusätzlich Grenzen setzten. Meine Ashford „Elisabeth 30“ Limited“ machte schon so vieles möglich was auf meinem ersten Spinnrad -einem Ashford „Traditional“- niemals möglich gewesen wäre. So begann ich mich brennend für die technischen Details der einzelnen Spinnräder zu interessieren … ich zappte nächtelang durchs www und las auf verschiedensten Herstellerseiten die technischen Details der einzelnen Räder nach. Welches Rad würde mir die technischen Möglichkeiten geben, von kürzesten Katzenhaaren bis zu extrem langen Wensleydale-Locken praktisch „alles“ zu verspinnen?

Leider kam ich nicht so recht weiter, denn die meisten Räder gleichen sich (auch heute noch) in den technischen Details. Erst als ich bei einem Spinntreffen 2016 das erste Mal ein „Michi von Schwarzenstein“ zu Gesicht bekam und es netterweise auch einmal anspinnen durfte, war es sofort um mich geschehen. Das futuristisch aussehende Rad bestach durch den wunderbarsten Einzug, den ich je erlebt hatte. Sanft und ohne zu zupfen, zog es ein. Die glückliche Besitzerin spann darauf sogar im langen Auszug. Ich war völlig fasziniert. Zudem kam kein Geräusch von dem gesamten Rad: alles war kugelgelagert – nur ein sanftes, fast unhörbares Surren der Spule, welcher einzig vom Luftzug herrührte, war wahrzunehmen.

An dem technisch hochwertig verarbeiten Rad, das dennoch offensichtlich sehr liebevoll hergestellt war, konnte ich mich kaum sattsehen. Ausgestattet mit viel mattiertem Aluguss, hochwertigen Edelstahlteilen und aus schönem Buchenholzkorpus, mit den schwarzen Polycords und der schokobraunen Absatzlackierung war es formschön, zweckmäßig und zugleich ungewohnt futuristisch.

Kaum war ich wieder zu Hause, telefonierte ich mit meiner erfahrenen Freundin Claudia, um mich von Ihr beraten zu lassen. Letztendlich gingen wir zeitgleich online und bestellten uns jeweils ein „Michi“… mir schlug das Herz vor Aufregung bis zum Hals. Gute 840€ würde ich bezahlen – doch da die Lieferzeit satte 20 Monate betragen würde, konnte ich ebenso lange darauf sparen. So sparte ich… und wartete… und sparte weiter… bis ich es schließlich Weihnachten 2017 geliefert bekam. Perfekt und sicher eingepackt lag es unter dem Christbaum… ich konnte es gar nicht fassen. Herr von Schwarzenstein hatte es nicht nur in einen Karton gepackt, sondern es war auch noch auf einem Brett festmontiert, der wiederum perfekt in das Kartoninnenmaß passte.

Und was für ein fantastisches Rad ich da nun hatte – es war (und ist) einfach nur ein Traum! Es spinnt wie vom anderen Stern: der patentierte, zweifädig laufende Spinnkopf ist nahezu stufenlos einstellbar, was sich im wunderbaren Einzugsverhalten bemerkbar macht. Auf Grund der innovativen Konstruktion läuft der Spinnkopf vibrationsarm und es gibt kein Spulenklappern mehr!

Das Geheimnis des Rades liegt in der Konstruktion des Spinnkopfes und dessen Antriebes. Bei normalen, zweifädigen Spinnrädern wird der Fadeneinzug über die veränderbare Spannung der Antriebsschnur reguliert. Hier ist eine Art Umlenkwelle verbaut worden. Die Drehbewegung der Flügelantriebsscheibe wird zuerst mit einem Polycord an der Vorderseite des Rades auf eine -mit Wirteln ausgestattete- Parallelwelle übertragen. Ein zweiter Polycord treibt an der Rückseite die -ebenfalls mit einem Wirtel versehene- Spindel und somit die Spule an. Spinnflügel und Spule haben also einen eigenen Antrieb und dieser ist über die feinen Abstufungen der unterschiedlichen Rillen in den schwarzen Wirteln wunderbar genau einstellbar. Man könnte sagen, dass „Michi“ hat die Eigenschaften eines spulengebremsten Rades beim Einzugsverhalten eines zweifädig angetriebenen Rades.

Diese besondere Art des Einzugs hat viele meiner Bekannten, die das „Michi“ bei mir ausprobiert haben, vor eine echte Herausforderung gestellt. Einigen war es wegen der vielen Riemen und Einstellmöglichkeiten „technisch zu kompliziert“, viele fanden es „komisch zu treten“ und manche haben das Einzugsverhalten „merkwürdig weich“ gefunden. Doch ich kann nur sagen: was für eine geniale Lösung für den Spinnkopfantrieb! Sauber und dennoch weich, ruckel- und zupf-frei ermöglicht es mir ein absolut entspanntes Spinnerlebnis, denn es gibt nicht einmal das winzigste Zupfen an der Spinnfaser.

Außerdem ist die Tritteinheit seitlich schwenkbar, so dass man das Rad nicht verstellen muss. Es gibt verschieden große, in den Flyer einsteckbare Einzugsösen, in die man das Garn nur fix einzuhängen braucht: kein nerviges Gefummel mit den Einzugshaken mehr! Die Führungen der Haken auf dem Flyer sind mittels Federspannung leicht und stufenlos verstellbar. Es gibt mehrere Durchmesser für unterschiedliche Garnstärken. Auch ein Art-Yarn-Set ist verfügbar. Das Rad läuft absolut nahezu verschleißfrei. Mit knapp 5 Kg ist es leicht zu transportieren, dabei recht robust und kompakt: es hat sogar einen gut geformten Trageknauf. Der Auf- und Abbau geht schnell vonstatten, hat man es erst einmal probiert: die Tritte werden hochgeklappt und mit einem Polycord fixiert, das Standholz mittels Handschraube gelöst, fix hälftig nach unten geklappt und ebenso fix wieder gesichert.

Eine sehr gute Freundin hat mir letzthin eine Tragetasche für mein „Michi“ genäht. In diese werde ich jetzt das alte Transportbrett einsetzen, damit ich mein absolutes Lieblingsrad überall sicher mit hinnehmen kann. Seitdem ich es besitze, spinne ich fast alles an Fasern darauf: es hat technisch alles gehalten, was ich mir immer gewünscht habe! Es ist zudem das einzige Rad in meiner Sammlung, an dem ich wirklich nichts verbesserungswürdig finde. Darüber hinaus ist es von der Optik her schon jetzt eine echte Stil-Ikone!

PS: Nur eines würde ich gern ändern können: Herr von Schwarzenstein erlitt im Sommer 2021 einen Schlaganfall und daher wird es keine weiteren Spinnräder aus seiner Hand mehr geben. Auf diesem Weg möchte ich Ihm daher alles erdenklich Gute und weiterhin Genesung wünschen – und ihm für seine fantastische Arbeit danken. Das „Michi“ wird immer bei mir bleiben!

PS: Der ultimative Test für das neue Handspindelset steht bis dato leider noch immer aus…
doch haben Sie meinen herzlichsten Dank dafür, Herr von Schwarzenstein – ich melde mich dazu bestimmt noch einmal!  

 

INFOBOX:

Technische Daten „Reisepinnrad Michi“

  • lackiertes Buchenholz und Birkenmultiplex
  • zusammenklappbares Spinnrad mit modernem Design
  • Gewicht ca.: 4,8 kg
  • Höhe des Fadeneinzugs: 73,5 cm
  • Abmessungen Spinnrad (HxBxT): 77x36x41 cm
  • Raddurchmesser unten 21cm, oben 12 cm
  • Abmessungen zusammengeklappt (HxBxT): 55x36x26 cm
  • Grundausstattung:
    Übersetzungen mit langen Antriebsriemen:  1:5,5  1:7  1:9,5  1:12  1:16  1:21
    Übersetzungen mit kurzen Antriebsriemen:  1:2,5  1:3,4  1:4,8  1:6,1
  • keine zusätzlichen Wirtel nötig
  • patentierter Spinnkopf, an dem sich der Fadeneinzug in 17 Abstufungen fein dosiert einstellen lässt
  • Spinnösendurchmesser: 2 mm, 4 mm, 9 mm
  • Spulenkapazitäten für Standardflügel: 
    550 ml (bis ca. 220 Gramm)  750 ml (bis ca. 300 Gramm)
  • Steckbare, offene Spinnösen unterschiedlicher Größe
    Ösendurchmesser: 2mm, 4mm und 9mm
    jeweils für Rechtsdrehung und Linksdrehung
  • Spinnflügel abschraubbar (seit Auslieferung Aug. 2016)
    daher optionale Verwendung eines größeren / kleineren Flügels
    andere Spulengrößen verwendbar
  • Weiterhin erhältliches Zubehör:
    – Art-Yarn-Set
    – Spindel-Set
    – Spindeldorn
    – Spulen mit Acrylglasscheiben
  • Technisch baugleich: das Modell „Karina“, ein (optisch) klassisches Bockrad

Hersteller 

v. Schwarzenstein Spinning Wheels / Herr Gerhard v. Schwarzenstein –Handwerksmeister-
Göttengrün 4, 07926 Gefell, Thüringen / vonschwarzenstein(minus)spinningwheels(dot)de